Wenn nicht jetzt – wann dann?

„Späßchen in den Darkrooooom!“ Die Stimme schreit nur so aus meinem iPhone und meine Finger versuchen noch verzweifelt die Lautstärkereglung zu betätigen, bevor die Menschen hier um mich herum von ihren Stühlen fallen oder sich wahlweise an ihrem Guten-Morgen-Kaffee verschlucken.

Sonntagmorgen, die Sonne hat sich in diesem Sommer dann doch noch einmal richtig angestrengt und nach viel Regen und wechselhaftem Wetter scheint sie mir gerade endlich ins Gesicht. Isabels Sprachnachricht lässt mich trotz meiner Nervosität gerade schmunzeln. Sie ist auf dem Weg an die Mosel. Zu Dreharbeiten ihrer neuen Daily bei Sat.1, die in wenigen Wochen starten wird. Sie wird eine Mutter spielen, deren Tochter den Männern abgeschworen hat. Und ich sitze im Café und warte darauf, dass meine Mutter mir ihren neuen Mann vorstellt. Da Isabel und meine Mutter ungefähr im gleichen Alter sind und ich mit ihr nebst Dreharbeiten, Schlagersängern & TV-Stars der 70iger Jahre, Küchengeräten und ihren besten Knethaken, auch über Liebe, Sex und natürlich Männer sprechen kann, musste ich ihr natürlich mitteilen, was ich gerade mache. Und sie wünscht mir nun nach einem guten Schlagabtausch auf ihre Art viel Spaß und Erfolg bei der anstehenden Mission.

Es war in der Vorweihnachtszeit, als das ständige Einreden meiner Brüder und mir auf meine Mutter endlich Früchte trug und Gertrudis und ich auf meinem Sofa lagen und gemeinsam ein Bumble-Profil anlegten. Meine investigative Recherche bei Lina, Franzi und Frauke brachte schnell Gewissheit, dass wir erst einmal von Tinder die Finger lassen sollten. Auf Bumble schreibt schließlich die Frau zuerst. Kampf dem Patriachart im Digitalen. Da war ich natürlich gleich Feuer und Flamme. Und dann lief es, wie es auch mit all meinen Dating-Profilen und denen meiner Freund*innen sonst auch läuft. Welche Bilder sind die besten? Zeigen die einen aber auch in unterschiedlichen Situationen? Was schreibt man überhaupt über sich selbst? Vor allen Dingen, wenn man 42 Jahre verheiratet war, nun verwitwet und seit kurzem in Rente ist? Meine Finger flogen nur so durch meine Fotoalben, über die Tastatur von Gertrudis‘ iPhone und ab und zu auch nochmal durch den Chat meiner Clique. 

Die Herausforderung, einen passenden Mann für die Frau zu finden, die ich über alles liebe und die mir das Leben geschenkt hat, wollte ich natürlich nicht allein tragen. Also wurden die Jungs, Franzi und Lina befragt. Nico war der Fotoexperte, Marcel für den Witz der Boomergeneration zuständig, Mers brachte die Realität & Torsten den Ansporn rein, David das zusätzliche Hintergrund-, die Mädels das Fachwissen und ich konnte das Ganze bündeln und es kreativ verpacken. Gemeinsam hatten wir es also geschafft, für meine Mama ein schnittiges, ehrliches und schönes Profil zu erstellen. Ich war glücklich. Und geflasht. Gespannt sowieso.

Und nun sitze ich – ein knappes halbes Jahr später – hier im Café, rühre nervös in meinem kalten Kakao, tausche Sprachnachrichten mit Isabel und warte darauf, einen Mann kennen zu lernen, der seit einiger Zeit meine Mama datet. 
Hab ich Gertrudis mit der Situation überfordert? War ich zu forsch? Zu direkt? Was wird nun alles folgen? Und was wird das mit mir machen? Ein neuer Mann an der Seite meiner Mama?

So komme ich nicht umhin mich zu fragen: Fängt mit 66 Jahren das Leben an und kommt man in Schuss, oder ist dann doch eher Schluss?

In den letzten Monaten hat sich das Dating-Verhalten von Renter*innen, das ich erleben durfte, so gar nicht von dem unterschieden, was meine Generation da so tut. Man schreibt, ein Chat verläuft mal im Sand, mal kommt es zu einem Date. Mal ist es ganz nett, mal merkt man direkt beim Schluck des ersten gemeinsamen Kaffees, dass es für weitere Treffen nicht reichen wird. 

Immer habe ich versucht, das Sicherheitsnetz für meine Mama zu sein. Ich rief zwischendurch an. So, wie ich es schon früh bei Sex and the City gelernt habe. Sicherheitsanruf: „Something bad happend? Something bad happend!“ Und dann könnte das Date umgehend unterbrochen werden und eine Exitstrategie wäre gegeben. Und dann versuchte ich mein ganz normales Gesprächsverhalten, das ich in jeder meiner Beratungen par excellence beherrsche, auch mit Gertrudis zu anzuwenden. Viele Fragen stellen: Was war gut? Was schlecht? Was sind die Gedanken? Was der worst- was der best case?

Und dann kam es, wie es kommen musste. Allerdings so, wie es eigentlich nur in ARD – wahlweise auch Sat.1 – Vorabendserien oder großen Hollywoodstreifen (oder in den Träumen der meisten schwulen Männern meiner Generation) passiert. Meine Mutter stand an der Rewe-Kasse und traf auf einen uralten Bekannten, kam ins Gespräch und es folgte eine Verabredung auf einen Kaffee. Und dann folgte eine zweite und noch eine und noch eine. Nichts mit Online-Dating. Real life shit – sozusagen. 

Natürlich habe ich mich in den letzten Wochen mit verschiedenen Menschen über die Situation unterhalten. Mindestens die Clique musste up-to-date gehalten werden, da sie seit Beginn wie ich mitfieberte. Und natürlich auch Isabel. Gleiche Generation. Aber wann immer ich die beiden nebeneinander auf einem meiner Empfänge sitzen sehe, denke ich mir, dass zwischen den beiden Welten liegen. Was möglichweise auch daran liegt, dass die eine meine Freundin, die andere meine Mutter ist. Oder aber daran, dass Isabel eher extro- Gertrudis vergleichsweise eher introvertiert ist. Aber immer wieder predigt Isabel auf Social Media oder in ihren Büchern, dass man nie zu alt für gar nichts ist. Und mir sagt sie, wie toll sie es findet, dass Gertrudis nun wen kennen gelernt hat.

Da sind wir uns nun wirklich alle einig. Egal, wer das in der letzten Zeit wie auch immer mitbekommen hat, freut sich mit mir. Mit meiner Mama.
Franzi fragte mich vor ein paar Tagen, was das Ganze denn mit mir machen würde. Ein neuer Mann an der Seite meiner Mama. Vier Jahre nach dem Tod von meinem Papa. Ich scherzte rum, dass es sicher kein böser Stiefpapa wäre, der in der Eifel täglich Spiegel befragen würde, wer hübscher sei, oder mich mit einem Apfel vergiften wollen würde, oder aber mich im Keller einsperren und mit meinen Geschwistern allein auf einen Ball gehen würde. Und natürlich muss Gertrudis mit Konrad, den alle nur Conny nennen, klarkommen. Und klar habe ich auch ein bisschen Angst. Vor Tagen habe ich meine Mutter erst einmal gefragt, ob Conny wisse, dass ich auf Männer stehe und wie er das finden würde. Sicher ist sicher. „Natürlich weiß er das und es ist kein Problem!“ kam die prompte Antwort. Schon mal ein Aufatmen. Meine Brüder kennt er schon. Alle mögen ihn. Er mag alle. Ich bin halt allerdings auch ein bisschen anders als alle anderen. Das Foto, das ich von ihm habe, finde ich sehr sympathisch. 

Und ich bin mir nun auch sicher, dass ich ihn gleich in natura sympathisch finden werde. Schließlich mag meine Mama ihn. Und die verhält sich gerade wie ein Teenager. Schöne Ausflüge, lange Gespräche. Was mich mehr als glücklich macht. Denn das hat sie verdient. Geliebt zu werden. So wie wir alle. 

Ich schnappe mir mein iPhone, schreie „Toi toi toi für die Dreharbeiten. Hoden!“ ins Telefon, schicke die Sprachnachricht an Isabel und lache allen Menschen, die sich gerade fast an ihrem Guten-Morgen-Kaffee verschluckt hätten, entgegen. Ich freu mich auf den neuen Kerl an der Seite meiner Mutter, meiner Mama, meiner Gertrudis. Und ich freu mich sie lachen zu sehen. Mit über 66 Jahren.
Klar mache ich mir Gedanken, ob wir nun bei unseren Europareisen bleiben. Ob wir nach Rom fliegen, eine neue Ausstellung besuchen oder Weihnachten zusammen Sissi schauen – wobei sie schaut und ich lese. 
Allerdings weiß ich, dass es Dinge gibt, die bleiben, wie sie sind. Und dann gibt es Dinge, die man angeht und nochmal neu durchstartet. 

Denn am Ende ist es doch so: Es ist nie zu spät. Für gar nichts. Und ganz sicher niemals für die Liebe.

andreas

Kommentar verfassen