Schöne Bescherung

Schöne, besinnliche und entspannte (!) Weihnachten.
Das habe ich so in den letzten Tagen in zahlreiche der 141 Weihnachtskarten geschrieben, die bereits schon bei vielen in den Briefkästen gelandet sind. Neben all den persönlichen Worten, den Selfies und den Wünschen für das kommende Jahr waren mir diese drei Wörter besonders wichtig. Und ganz besonders wichtig war mir das „entspannte (!) Weihnachten”. Wann immer ich diese Worte geschrieben habe ging mir durch den Kopf, dass ich dieses Jahr eher unentspannte Weihnachten haben werde.

Seit einiger Zeit gibt es ziemlichen Krach in meiner Familie und damit wackelt seit Wochen der Plan einer gemeinsamen Weihnacht. Und sei das nicht schon genug, hat meine Mama neben einer Lungenentzündung seit einigen Tagen einen positiven Corona-Test. So artet das Weihnachtsfest für viele bereits in (emotionalen) Stress aus. Nachrichten in Familiengruppen werden getauscht, nicht beantwortet oder umgangen. Aber geht mir das alleine so? Nein. Egal mit wem ich in den letzten Tagen gesprochen habe, alle haben, wenn sie an die anstehenden Tage denken, seltsame Gefühle. Der eine muss einen Abend in seinem alten, kalten und staubigen Kinderzimmer auf einer Isomatte schlafen, die andere weiß nun schon, dass die Fragen zum Studium und der Berufswahl pushy, wertend und verletzend ausfallen werden. Wieder andere planen bereits einen Tag länger zu feiern, damit alle aus der Patchwork-Familie gleichwertige Timeslots erhalten und es keine bösen Neidanfälle geben wird. Wir alle schleppen unsere Themen mit uns herum. Höchstwahrscheinlich geht meine Generation damit ehrlicher um als die Generation unserer Eltern oder Großeltern. Das soll keine Entschuldigung für nicht vorhandene Gastfreundschaft, blöde Verhöre oder Schuldzuweisungen sein. Aber die Gesellschaft lebt uns vor, dass wir an Weihnachten alle zusammenkommen müssen und dann dazu aber doch auch bitteschön harmonisch sein sollen. Auch die Kirche, die für die „Feierei“ am Ende verantwortlich ist, preist die Hochkonjunktur des Verzeihens an. Das Fest der Liebe.

Aber wieso? Wieso genau an diesen Tagen über alles sprechen? Alles auf den Tisch bringen? Der ist doch meist eh überladen mit Gans, Klößen und Rotkohl, oder wahlweise Würstchen mit Kartoffelsalat, nebst Vanillekipferl, Stollen und Zimtsternen. Muss es unbedingt zu Weihnachten am vollbepackten Tisch sein? 

So komme ich nicht umhin mich zu fragen: Wieso kann an durchschnittlich 362 Tagen im Jahr nicht über alles gesprochen werden, was so zwischen den Menschen los ist?

Vielen wissen, wie sehr ich die Vorweihnachtszeit zelebriere. Nachdem der 11.11. vorbei ist wird die Weihnachtssong-Playlist ausgepackt, die Deko aus dem Keller geholt und angefangen, mich, aber auch alle anderen, in Stimmung zu bringen. Jedes Jahr aufs Neue diskutiere ich mit Torsten, dass das Ganze doch erst nach Totensonntag stattfinden darf. Jedes Jahr aufs Neue sage ich ihm, dass für mich die Vorweihnachtszeit am 12.11. beginnt. Ganz genau sogar am 24.9., wenn ich mit meinen alljährlichen Weihnachtsgeschenken in die Vorbereitung gehe und Nicole schreibe, dass sie noch drei Monate Zeit hat, um ihre Weihnachtskarten zu organisieren.

Viele Leute denken immer, dass ich mich mit all den Dingen auch automatisch auf die Weihnachtstage freue. Aber für mich ist Weihnachten eben mehr als nur die drei Tage mit Heilig Abend und den beiden Weihnachtstagen. Der Weg ist das Ziel, oder aber ich lebe das Motto gerade in der Vorweihnachtszeit: Vorfreude ist bekanntlich die schönste Freude, ob mit Weihnachtskarten, digitalem Adventskalender in Reimform an fast 100 Personen oder unzähligen Weihnachtsoutfits von Hemden, Socken, Pullis bis hin zu Pullundern. Ich trinke sicher mehr als fünf Liter Kinderpunsch, verbacke mehr als zwei kg Butter und schaue alle gängigen – und ungängigen – Weihnachtsfilme und -serien. Selbst meine Bücherauswahl ist der festlichen Zeit angepasst. So genieße ich die ganzen Tage im November und Dezember immer sehr. Unter der Weihnachtsdecke, im Onesie oder auf einem der Weihnachtsmärkte rund um meine Wohnung. 

Allerdings habe ich die Zeit an genau den drei Festtagen mal entspannt und mal wesentlich unentspannt in Erinnerung, so wie es wohl den meisten geht. Immer wieder ist es eine Zeit in vielen Familien, in denen alte Gefühle hochkommen, gestritten, geschwiegen oder sich getrennt wird. Vielen Medien geben Tipps, wie die Feiertage im Kreise der Familie entspannter werden. Kein Alkohol, Spaziergänge, Abreisezeiten ankündigen. Wenige bis niemand geben den Tipp, dass man auch einfach mal nicht zur Familie muss, einen Tag eher abreisen kann oder alte Traditionen in Frage stellen und klar kommunizieren kann. An 51 Samstagen im Jahr ist es total fein, dass man zu Hause auf dem Sofa einen Film schaut und dazu TK-Pizza isst. Wenn allerdings Heilig Abend auf einen Samstag fällt, dann ist das Ganze wieder etwas anderes. 

Mit Frauke habe ich vor bereits drei Wochen an einem Mittwoch mein Birnen-Gulasch gegessen. Sie war ganz überrascht, dass wir das mitten in der Woche essen, sei es doch ein richtiges Festessen. Aber was ist ein Festessen? Richtig, ein Essen, dass an einem Fest gereicht wird. Ob Kartoffelsalat, Gans oder eben die TK-Pizza. Leckere Dinge gemeinsam essen kann man auch an anderen Tagen. Dazu muss nicht unbedingt der Heiland geboren worden sein. Den Stress rausnehmen, die Erwartungen senken, Nein sagen können. Nicht wegen Weihnachten den Druck aufbauen, Dinge auf den Tisch zu bringen. Zwischenmenschliche Beziehungen werden nicht durch die mögliche Geburt eines Babys in einem Stall verbessert oder verschlechtert. Sie werden nicht über Nacht gemacht und auch nicht über Nacht gerettet. Zwischenmenschliche Beziehungen wachsen, an ihnen muss gearbeitet werden, das ganze Jahr über und nicht ausschließlich an drei Tagen Ende Dezember.

Ich werde nun also abwarten, ob der Coronatest negativ ist, oder nicht. Ich werde spontan die Straße entlanglaufen, erst den einen, dann den anderen Bruder besuchen. Ich werde einen Tag nicht aus dem Schlafanzug raus, Geschenke verteilen und öffnen, Kinderaugen strahlen sehen und mir bewusst Zeit für mich nehmen.

Denn es ist fein, die Tage von Hü nach Hott zu flitzen und alle lieben Menschen einzeln zu besuchen. Aber es ist genauso fein die Zeit mit sich allein auf dem Sofa zu verbringen oder gemeinsam zum Sport zu gehen oder mit lieben Menschen die Zeit zu verbringen und die Familie an diesen Tagen nicht zu besuchen.

Denn am Ende ist es doch so: Weihnachten ist das Fest der Liebe – zueinander. Aber ganz besonders auch zu sich selbst.

andreas

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