Make you feel my love

Ich drücke lange auf die Seite meiner AirPods. Die noise-cancelling-Funktion wird aktiviert und ich werde innerhalb einer Sekunde in mein eigenes Vakuum gezogen. Die Geräusche der vorbeifahrenden Straßenbahn, das Geschrei der Betrunkenen aus dem nahegelegenen Park, das Gebell des Hundes vor dem Fenster, das Gestöhne der Nachbarin. Alles ist innerhalb eines Bruchteils, eines einzigen Momentes, verstummt. Und dann dröhnt mir Adeles Stimme in die Ohren. Let me photograph you in this light, in case that is the last time, that we might be exactly like we were, before we realized, we were getting old, it made us restless, it is just like a movie, it is just like a song

Ich kämpfe mit den Tränen. Aber diesmal werde ich sie zurückhalten. Dieses Mal werde ich keine weitere Träne lassen. Dieses Gefühl, so komplett von der Außenwelt abgeschnitten zu sein, bereitet sich in mir aus und lässt mich meine Einsamkeit gerade noch einmal so richtig fühlen. Das Vakuum, das in meinen Ohren startet, zieht langsam durch meinen Kopf, durch die Kehle, den Hals herunter bis in mein Herz. Und da, als Adele gerade in meinem Ohr einen hohen Ton schmettert, explodiert etwas in meinem Herz und es schießt mir durch Mark und Bein. Ich bin allein. Ich habe die wichtigste Person in meinem Leben verloren. Er ist weg. Die Beziehung nach über vier Jahren beendet. 

Ich greife zwei Boxershorts, drei Eiweißriegel, eine Wochenration Zink und Vitamin C und meine letzte Monster Dose. Es wird eine toughe Woche. Als ich ihm damals davon erzählt habe, dass ich neben meinem neuen Vollzeitjob noch eine Woche im Sender mache und eine Klausur für die Uni schreiben werde, sagte er, das sei nicht zu schaffen. Ich wusste und weiß: es ist! In meiner Fluchttasche, für die ich regelmäßig belächelt werde, die Anne früher im Büro immer mit einem zustimmenden Nicken bewertet und meine Mutter sich schon das ein oder andere Mal beim Anheben fast einen Bandscheibenvorfall geholt hat, sind neben den gerade rein geworfenen Dingen mein MacBook, Ladekabel, meine Kulturtasche und was ich sonst noch so bräuchte, wenn Jason Bourne mich anrufen und mit mir fliehen wollen würde. 

Ich könnte los. Direkt. Über den Osten, in den Süden, auf einen Schipper, ans andere Ende der Welt. Jetzt, auf der Stelle. Stattdessen atme ich vier Sekunden über die Nase ein, halte die Luft vier Sekunden an, um sie dann vier Sekunden über meinen Mund endweichen zu lassen. Ich schultere meine Tasche und ziehe die Wohnungstüre zu, ohne noch einmal zurück zu schauen. Und nun, wie wird es weiter gehen? Wie sage ich es Gertrudis? Kann ein gebrochenes Herz wieder heilen? Werde ich die nächsten Monate Adele in Dauerschleife hören? Und wie ist das mit den Gefühlen eigentlich? Und so komme ich nicht umhin mich zu fragen: Wann werden das Vakuum und die Einsamkeit in mir aufhören und ich mich wieder normal fühlen?

Adeles letzten Töne verstummen und Philipp Poisels Stimme ist es nun, die ich in meinen Ohren höre. Ich will nur, dass Du weißt, ich hab Dich immer noch lieb. Und dass es am Ende auch keine andere gibt, die mich so vollendet. Nun kämpfe ich doch mit einer Träne. In der Straßenbahn sitzend, die zwar ruckelt, aber von der ich dank noise cancelling keinen einzigen Ton vernehme. Die Woche schaffe ich. Erst Live nach Neun, dann im Gehen mein Mittagessen aus der Dose löffeln und ab ins Büro. Marketingstrategien besprechen und nebenbei dort einen Umzug mitorganisieren. Noch mehr Live nach Neun, noch mehr Milchreis aus Dosen, bis auch der letzte Karton im neuen Office in Ehrenfeld steht. Einen nächsten kleinen, aber sehr emotionalen Tiefpunkt habe ich, als ich dann morgens früh in der Uni sitze und das letzte Mal die Paper für die Klausur lese. Natürlich abgeschirmt von der Außenwelt und dem Trubel der um mich laufenden Studierenden durch meine Airpods. Obwohl mich, nicht nur er, viele vor der Woche gewarnt haben, war mir klar, dass ich mich zusammenreißen und das alles schaffen würde. Dennoch kommen gerade kurze Zweifel. Ich werde durch die Klausur rasseln, mein Studium versauen und dann in einem Einzelhandelunternehmen mit billigen chinesischen, chemiedurchtränkten Kleidungsstücken den Tag damit verbringen, den Wühltisch zu sortieren und die 2€ T-Shirts zu falten.  Und dann ist auch Lina schon zur Stelle, nimmt mich in den Arm und diskutiert mit mir über Migration, Globalisierung und gesellschaftliche Ungerechtigkeit. Und schon bin ich wieder auf der Höhe, fit für die Klausur und die letzten Tage dieser Woche. 

Als ich dann Freitagnachmittag nach einem Tag im Sender und den letzten Stunden für die Woche aus dem Office ins Gym radle, zieht die kalte Luft an meinem Kopf vorbei. Ich konzentriere mich die ganze Fahrt auf meinen Atmen und darauf, die Einsamkeit in mir zu spüren. Zwei Wochen sind nun fast vergangen, als klar war, dass ich in Zukunft ohne die wichtigste Person in meinem Leben zurechtkommen muss. Zwei Wochen, in denen ich in meinem neuen Job gearbeitet, viel an langen Redaktionssitzungen teilgenommen, einige Workouts absolviert, viele Freund*innen getroffen, mit Greta gekuschelt und vor anderen und für mich geweint habe. Und nur wenige Minuten sind vergangen, in denen ich nicht an ihn gedacht habe. 

Am Neumarkt angekommen aktiviere ich wieder die noise-cancelling-Funktion, die für den Straßenverkehr natürlich deaktiviert wurde. Sofort ist da das Gefühl des Vakuums wieder. Und dann springt mein Spotify-Algorithmus auf den Soundtrack von König der Löwen und Circle of life beginnt. Naaaaa zeeee quen jaaaa mabbaa geee ti babaaaaa. Ich muss lächeln. Zwar lässt mich natürlich auch dieser Song an ihn denken, habe ich doch in unserem letzten Sommerulaub linksfahrend im englischen Straßenverkehr meine beste Version lautstark davon performt, aber ich war auch mit Mers vor Jahren im Musical und Hannes schenkte mir die Blu-Ray des Films, den ich bald mit Mike schauen und neue Erinnerungen formen werde. 

So wird die Zeit es zeigen, wie es weiter geht. Ich werde weitere Narben davontragen, noch ehe die alten ganz verheilt sind. Ich werde weiterhin Adele, Philip Poisel und König der Löwen schmettern und meine Airpods werden mich dabei unterstützen. 

Denn am Ende ist es doch so: Die Technik macht es uns möglich, das Leben um uns auszublenden und nur bei uns und der Einsamkeit zu sein. Aber ob ich noise-cancelling aktiviere oder nicht, ist immer noch meine eigene Entscheidung.

andreas

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