Pride was a riot!

„Hummus?”

Ich mein Hummus!?!“

Ich spinkse nur mit einem halben Auge auf meine Apple Watch und sehe die Nachricht von Lina. Sie hat auch ein Bild mitgeschickt. Aber nun nicht ablenken lassen. 

Ich brauche 100 % meiner Konzentration, trotz der lauten Musik, die ich auf meinen Lautsprechern in der ganzen Wohnung aufgedreht habe. Denn ich habe doch in meiner Hand eine sehr, sehr scharfe Schere. Und nicht nur das: Gerade habe ich das zukünftige Outfit für Mike in meinen Händen. Er und auch David haben mir Shirts dagelassen, die ich fachmännisch – mit meiner Superkraft, die darin besteht, dass ich aus jedem Fetzen T-Shirt ein sexy, gutgeschnittenes Tanktop zaubere – zurechtschneide.

Die Pride-Season geht los. Und ich starte morgen mit Mike und dem Mighty Hoopla Festival ins queere Spektakel. Außerdem sind dieses Jahr Prides in London, Frankfurt, Berlin, Stuttgart, Hamburg  und – natürlich! – Köln geplant. 

Vor 54 Jahren, am 28. Juni 1969, gab es in der queeren Bar „Stonewall Inn“ in New York City in der Christopher Street Aufstände von queeren Menschen gegen die damalige gezielte Polizeigewalt gegen die Community. Trans*Personen, People of Colour und alle möglichen queeren Personen setzten sich mit Steinen und Demos zur Wehr. Mehr als ein halbes Jahrhundert später nutzen die Menschen weltweit den Monat Juni als PrideMonth zum Gedenken an die damaligen Aufstände, deren Folgen und auch den immer noch vorhandenen Diskriminierungen gegenüber uns queeren Menschen. Und natürlich feiere nicht nur ich die Pride-Season, die zu meiner liebsten Zeit im Jahr gehört.

Auch viele Firmen springen mit auf den PrideMonth-Zug auf. 

Letzter Schnitt. Ich schnappe mir mein iPhone und schaue mir Linas Foto an. Sie hat im Rewe eine Packung Hummus fotografiert, der in sechs verschiedenen Farben daherkommt und einen Regenbogen nachbilden soll. DAS Zeichen der queeren Community. Ich muss schmunzeln. Überall sehe ich die Regenbögen, #loveislove-Sprüche und glitzernde Highlights. Ob in den Profilbildern großer Automarken, den T-Shirts in den H&M-Fenstern, an denen ich auf dem Weg ins Gym immer wieder vorbeilaufe oder auf den neuen Nike-Sneakern, die am Ende meines Tischs im Regenbogenkarton darauf warten, dass ich sie einweihe und bei den vielen Prides dieses Jahr tragen werde.

Schon im April suchen Mers und ich immer das Netz ab nach der neuen Pride-Kampagne von Nike. 

Welche Sneaks werden in diesem Jahr mit einer Flagge oder Farbexplosion versehen? Gibt es auch von Adidas eine neue Adiletten-Serie mit Mustern oder greller Schrift? Ist es überhaupt nötig, Markenprodukte noch und nöcher mit bunten Farben und Glitter zu versehen, um im Juni mehr Absatz zu machen? 

So komme ich nicht umhin mich zu fragen: Ist es nur Kommerz oder nötig, für die Rechte der queeren Community Klamotten mit Regenbogen zu versehen?

Ich komme vom Land. Aus der Eifel. Einem 1.000-Seelen-Kaff. Ich stelle sogar die These auf, dass unser Dorf mehr Kühe auf den Weiden als Einwohner:innen in den Straßen hat. Im tiefen Inneren wusste ich schon immer, dass ich schwul bin. Schwul geboren wurde. Schwul sein werde. Jahrzehntelang gab es für mich keine Vorbildfunktion in der Gesellschaft. Bei Chip & Chap liebten die männlichen Eichhörnchen immer Trixi, die weibliche Bastlerin-Maus. DieGummibärenbande vertrat – bei Menschen, wie auch den Gummibären selbst – immer nur die heteronormativen romantischen Beziehungen. Aber nicht nur in Zeichentricksendungen: Auch in Filmen, in Werbeunterbrechungen, bei Dorffesten und überhaupt meiner ganzen Sozialisation in der Eifel kamen keine schwulen Personen vor. 

Ich hatte, sobald ich wirklich wusste, was los mit mir war, zwei Jahre Angst vorm Outing, weil ich wirklich dachte, dass mein Vater mich vor die Tür setzen würde, wenn ich einmal ausgesprochen hätte, wie ich wirklich fühlte. Wie ich damals für diesen Daniel aus Mannheim empfand. Wer mein Herz wirklich zum Klopfen brachte. Dass ich zwar meine wenigen Freundinnen, die ich gehabt hatte, wirklich mochte, ich aber immer wusste, dass ich sie nur küsste, nur mit ihnen auftrat, weil ich endlich normal sein wollte. Weil ich es nicht verstand, warum mein Körper – meine Hormone – verrückt spielten, bei einem Mann. Anstatt bei einer Frau. Und diese – meine eigene – internalisierte Homonegativität trug ich einige Jahre mit mir rum. Immer wollte ich hetero sein. Immer wollte ich nicht schwul sein. Immer habe ich etwas getan, dass mich irgendwie hetero aussehen ließ. Immer hatte ich Angst aufzufliegen.

Alles hat sich im Nachhinein für mich glücklicherweise als unsinnige Gedanken entpuppt. Da ich kurz nach meinem Outing mit meinem Papa gemeinsam tanzend und klatschend Rosenmontag im Corner gefeiert habe. Und auch jetzt, Jahre nach seinem Tod, weiß ich doch, wie stolz er auf mich gewesen ist und immer noch wäre.

Und dann erinnere ich mich an die Büro-Monis aus der Eifel, die lächelnd im Eingang vorm H&M stehen und stolz ihr neues buntes Shirt mit #LoveIsLove-Aufdruck präsentieren, an die Kommentare unter dem letzten Post des ehemaligen Autoherstellers HORCH, der sein Profilbild mit Regenbogenflagge versehen hat und Boomer-Karl-Heinz ankündigt, nie wieder ein Auto dieser Marke zu kaufen und an die Menschen, die in der kurzen Mittagspause vor der Hummus-Auswahl im Rewe stehen und erstmal von einem Regenbogen-Angebot überwältigt werden. Und das alles wegen des PrideMonth.

Und dann denke ich mir, dass ich das genau richtig finde. Klar, auch in unserer Community und darüber hinaus wird alljährlich darüber gestritten, ob mit allem Geld gemacht werden muss, ob der Autohersteller, genauso wie der schwedische Textilhersteller oder der Kölner Lebensmittelriese unsere queere Community und all das Leid nutzen muss, um noch mehr Geld zu machen und sogenanntes Pinkwashing zu betreiben. Gleichzeitig halte ich es für genau richtig diese Themen einen ganzen Monat mit Farbe, Glitzer und Aktionen in den Mainstream zu ziehen. Ich freue mich, wann immer ich die Farben in der Stadt, auf dem Dorf, bei Instagram oder bei einem der zahlreichen Prides in der Demo, aber auch an den Menschen am Straßenrand stehe. Frei nach Miranda Priestly aus Der Teufel trägt Prada findet Mode immer einen Weg durch alle sozialen Schichten. Und somit werden alle Menschen im Juni irgendwie, irgendwo und irgendwann mit dem Regenbogen konfrontiert. Und wenn diese Aktionen auch nur einen Bruchteil der ganzen Menschen zum Nachdenken anregt, ist meiner Meinung nach schon ein ganz, ganz kleiner Schritt in die richtige Richtung getan, irgendwann vielleicht weniger Queerfeindlichkeit zu erleben. Und das lässt mein Herz ein kleines bisschen hüpfen und mich einfach ein wenig Hoffnung haben.

Ich lege die Shirts von Mike und David zurecht, antworte Lina, dass ich eine Packung Regenbogen-Hummus haben möchte und mich schon darauf freue, auf meinem Balkon unter der Regenbogenflagge zu sitzen und mit ihr frisches Pita durch die sechs verschiedenen Farben zu ziehen.

Dann drehe ich die Musik noch lauter, ziehe mir über meine weißen Socken die neuen Nike Sneaks mit Regenbogenfarben und tanze laut zu I’m coming out von Diana Ross durch meine Wohnung.

Denn am Ende ist es doch so: Wer weiß schon, wie gut es dem kleinen, dicken Jungen in der Eifel getan hätte, wenn er neben der Gummibärenbande auf seinen Aldi-Turnschuhen eine Regenbogenflagge gesehen und gelesen hätte: LOVE IS LOVE.

Happy Pride (Month)! 

andreas

1 Kommentar

  • Liebe alles daran. Als heterosexuell orientierte Person habe und hatte ich nie eine klare Meinung dazu sondern war und bin irgendwie immer hin und hergerissen. Und irgendwie möchte ich auch nicht das “Engagement” für ein Thema bewerten, das mich persönlich nicht betrifft. Ich stehe nicht vor den Herausforderungen, ich habe nicht mit dem Widerstand in der Gesellschaft zu kämpfen – ich kann das nicht nachfühlen. Ich kann nur versuchen so gut wie möglich die Community zu supporten und empathisch mit damit umzugehen und für die Community einstehen und den Mund aufmachen. Und ich freue mich besonders über die Gedankengänge und die geteilten Emotionen. Daher bleibt mir nur zu sagen: Danke fürs Teilen und die Einblicke!

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