Tatsächlich… Hass

„Ach bist du ein hurensohn einfsch ein stück scheisse“
Mein Display auf dem iPhone wechselt von schwarz zur Anzeige dieser Nachricht. Direkt danach vibriert es ein weiteres Mal.
„Mit deinem kleinem pimmelchen ist eh nix zu machen“

Screenshot einer Textnachricht. Mit dem Text:
Ach du bist ein hurensohn einfsch ein stück scheisse
Mit deinem kleinen Pummelchen ist eh nix zu machen

Ich sitze an meinem Küchentisch, zwischen hundert Weihnachtskarten, fast genauso vielen Selfies und Briefmarken. Auf dem Fernseher läuft Tatsächlich… Liebe und neben mir steht eine Tasse Kakao, aus der ein kleiner Lebkuchenmann aus Porzellan herausschaut. Und genau daneben liegt mein iPhone, auf das ich nun schaue. 

Die Nachricht kommt aus dem Nichts. Ploppt bei Grindr auf. Einer Dating-App, in der fast nur schwule Männer unterwegs sind. Und wo ich online bin, weil ich neugierig bin, dran gewöhnt bin online zu gehen oder auch gern mal ein Kompliment bekomme oder vergebe. Aber nicht nur bei Grindr bekomme ich Hassnachrichten. Immer mal wieder auf verschiedenen Plattformen bekomme ich auf meine standardisierte, nette Nein-Danke-nicht-interessiert-Message, die ich versende, weil ich Menschen mit denen ich nicht in Kontakt treten möchte, nicht nicht antworten will, richtig miese Hassnachrichten. Oder eben auch einfach – wie gerade – aus dem Nichts. Ganz ohne jegliche Kommunikation im Vorfeld. Ich greife zu einer Kirsch-Zartbitter-Nussecke und verschlinge sie in zwei Bissen. Und dann haue ich mir gleich noch drei hinterher. Dazu die halbe Tasse Kakao. Mein kleines Andreas-Ich hat schließlich gelernt, dass bei Kummer Essen hilft. Durch den Zucker, der durch mein Nervensystem rast, fühl ich mich fit, den Chat zu öffnen. Erst einmal geht ein Screenshot umgehend an Franzi. Ich tippe noch ein „In diesem Sinne: Besinnliche Adventszeit“ dazu und widme mich dann der Nachricht. Schaue mir das Profil an, von dem die Nachrichten kommen: Drei ganz normale Gesichtsbilder. Keine Insta Verlinkung. Mein Alter. Nie gesehen. 

Ich atme durch. Denn die Nachrichten haben mich kalt erwischt. Ich war gerade dabei, mir 2025 noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen. Schreibe ich doch meine Weihnachtskarten immer voll lieber Worte und Dankbarkeit an die Menschen, die mir in diesem Jahr begegnet sind und/oder von mir liebe Worte zu Weihnachten erwarten dürfen, weil sie in meinem Herzen sind. Und da es an manchen Stellen in diesem Jahr nicht so einfach war und auch die letzten Wochen arg an meinem Nervenkostüm gezerrt haben, müssen es dieses Jahr sehr viele nette Worte an sehr viele nette Menschen sein. Allerdings kann ich deshalb diese Hassnachrichten gerade nicht einfach ignorieren und steigere mich rein, bis ich so traurig bin, dass selbst noch zwei Nussecken und drei Schluck Kakao nichts mehr an der Stimmung ändern können. Und dann vibriert das iPhone schon wieder. Diesmal ist es aber keine Hassnachricht, sondern die Antwort von Franzi: „Wieso bekommst du immer solche Nachrichten? Was stimmt denn mit den Menschen nicht?“ 

Ich tippe „wenn ich das nur wüsste…“ auf dem iPhone, während mir langsam eine Träne die Wange runter läuft und sie kurz drauf auf einen der Weihnachtskartenumschläge tropft, um dort einen nassen, grauen Fleck zu hinterlassen.

Warum kann ich nicht über jede dieser Nachrichten lachen? Es gut sein lassen? Wieso kann ich nicht immer das Wissen, dass die Nachrichten mehr über die Absender als über mich aussagen, abrufen? Und wieso bekomme ich regelmäßig solche Nachrichten aus dem Nichts heraus?

So komme ich nicht umhin mich zu fragen: Wenn Wörter so viel stärker als Schwerter sind, wieso hinterlassen wir dann so wenig liebevolle davon?

Grindr Screenshot mit dem Text:
You seem absolutely insufferable from your profile.
Thanks Darling

Ich schaue durch verquollene Augen dabei zu, wie Emma Thompson versucht, Alan Rickmann ihre Liebe klarzumachen. Und er hat währenddessen nichts Besseres zu tun, als Mr. Bean dabei zu beobachten, wie er Stechpalme – die oft fälschlicherweise für Mistelzweige gehalten wird – auf eine Kette für Heike Makatsch kippen möchte. 

Mit Tatsächlich… Liebe gibt’s einen Film, der seit Jahren die Herzen zu Weihnachten erweicht. Ein Film, der sehr schlecht gealtert ist, aber bei dem zum Ende (fast) jede Storyline aufgeklärt wird, weil jede*r über seine bzw. ihre Gefühle spricht. Irgendwo schreit der Schriftsteller in einem portugiesischen Restaurant die Liebe zu einer Kellnerin raus, woanders spricht ein Pornodarsteller (oder ist es ein Lichtdouble!?) seine Kollegin für ein Date an und selbst Emma Thompson findet die richtigen Worte, wie verletzt sie ist. 

Grindr Screenshot mit dem Text:
Hi wie gehts?
Hey hey! Nimm's mir bitte nicht übel, aber das passt leider nicht. Pass auf Dich auf und alles Gute.
Ach du bist eh ne billige bitch die jede andere Stadthure in Köln nimmt

Und ich vertrete auch schon seit Jahren die Meinung, dass die Welt ein besserer Ort wäre, wenn wir alle mehr über unsere Gefühle sprechen würden. Wenn ich Hassnachrichten auf ein nettes „Nein-Danke“ bekomme, dann kann ich mir noch denken, dass es aus purer Kränkung ist. Aber auch das möchte ich nicht hinnehmen. Auch dann könnte man gar nichts schreiben, oder sagen, dass man enttäuscht ist. Mein Kopf kann das auch alles immer gut einordnen. Ich weiß wirklich, dass die Nachrichten am Ende nicht wirklich was mit mir zu tun haben. Aber mein Kopf wird halt eben manchmal von meinem Herzen oder meinem Bauch oder was auch immer überstimmt. Und dann erwischen mich solche Nachrichten eben doch ziemlich. Denn manche von ihnen stoßen Themen in mir an, mit denen ich mein ganzes Leben zu kämpfen habe. Sind es Kommentare über meinen Körper oder mein Verhalten zu anderen Menschen. Themen, die mich immer beschäftigen und in mir etwas auslösen. 

Viele sagen, dass unsere Communitys immer nach Toleranz und Respekt schreien, wir uns selbst aber keine entgegenbringen. Das könnte man nun so meinen, stimmt auf eine Art auch sicher. Allerdings bin ich der Überzeugung, dass ein mieses Verhalten nicht vor sexueller Orientierung halt macht. Hassnachrichten können von Heteros, aber genauso eben auch von schwulen Menschen kommen. Gleich haben sie alle: es ist nicht nett.

Wieder andere sagen, man solle sich einfach nicht in Social Media so darstellen. Online sein. Aber ist das die Lösung? Hass weichen und klein beigeben? Das war noch nie meine Stärke – auch wenn Hassnachrichten ignorieren wohl auch nicht dazu gehört. Und außerdem bleiben Täter Täter. Denn es ist egal, wie sich Leute – oder besonders ich mich selbst – auf Social Media darstelle(n), solange sie – oder in dem Fall ich – niemand in der Onlinewelt verletzten, gibt es niemanden, der laut urteilen darf. Aber der Hass ist nicht nur in Social Media da. Die Mickey Mouse hat bereits zweimal auf der Schaafenstraße Warnungen vor mir bekommen. Es gäbe bessere als mich oder ich sei „anstrengend woke“. Unliebe Wörter also online wie offline. Wobei der Hass online – ganz einfach aus der Anonymität – viel schneller und einfacher rübergebracht werden kann und mir persönlich wesentlich häufiger passiert.

Ich werde wohl nie dahinterkommen, wieso ich solche Nachrichten erhalte. Und was diese Menschen davon haben, mich mit ihren Nachrichten zu verletzen. Neid, Kränkung, Trauer, zu wenig Liebe in der Kindheit. Die Gründe sind sicher mannigfaltig. Und haben am Ende halt immer mit der Person an sich und nichts mit mir zu tun. Ich für meinen Teil muss nur daran arbeiten, dass mich die Nachrichten weniger verletzen. Sie vielleicht einfach immer und alle zur Anzeige zu bringen.

Grindr Screenshot mit dem Text: Hattest Du nen Schlaganfall, oder warum ist dein lächeln so hässlich?

Klar, Menschen verletzen Menschen. Sie hinterlassen Wunden auf unseren Seelen und das immer und immer wieder. Und sie fügen neue hinzu noch ehe die alten Wunden verheilt sind. Und es bleiben Narben zurück. Aber weder mit dem Schwert noch mit Worten sollte das passieren.

Ich höre „christmas all around me“, summe mit, wische mir über die Augen und tupfe den Fleck auf dem Umschlag trocken. Erst tippe ich an Franzi, dass ich die Menschen niemals verstehen werde und schnappe mir dann meinen grünen Kugelschreiber und widme mich der nächsten Weihnachtskarte.

Denn am Ende ist es doch so: Worte können verletzen, aber sie können die Welt auch so viel besser machen, wenn wir einfach mehr schönere füreinander übrighätten. 

andreas

1 Kommentar

  • Aus dem Versagen von Eltern entsteht das Versagen von Kindern. Dieses Versagen wird zu Recht zum unerträglichen Selbstbild. Wird das Selbstbild dann auch noch vom Fremdbild bestätigt, wird es unerträglich und in Form von Hass im Netz auf andere projiziert.

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