„Das würdest Du nicht sagen, wenn ich eine strong independent woman wäre!“
Ich muss schmunzeln. Mickey Mouse hat mich soeben mit meinen eigenen Waffen geschlagen, als ich sein Outfit kommentiert und es als leicht zu sexy kritisiert habe.
Es ist Gründonnerstag, ich liege im frühlingshaften Berlin in einem großen, weißen – etwas zu harten – Hotelbett nähe Nollendorfplatz und schau mir den Kerl vor dem Bett genau an. Und ich kann ihn ganz genau anschauen, weil jeder Teil seines Körpers zu 100 Prozent sichtbar ist. Und das, obwohl er eigentlich einen Gummianzug trägt. Der allerdings im Hotelzimmerlicht, eigentlich in jedem Licht, komplett durchsichtig ist. Er geht gleich erst zum Barhopping durch die Fetischbars von Berlin und dann auf eine harte Technoparty ins Berghain. Und ich? Ich werde mit meinem neuen Krimi, der erst gestern rauskam und der zufälligerweise in Berlin spielt, im Bett bleiben, lesen und früh schlafen. Und irgendwann gegen 5:30 Uhr werde ich sicher geweckt, wenn Mickey Mouse von seiner Partynacht nach Hause kommt, von zu viel Cola Zero aufgeputscht ist und mir erstmal lang und breit von seinem Abend berichten will.
Und nun lege ich meinen Kopf schief, versuche meinen kritischen Blick ein wenig zu reduzieren und mich auf das Schmunzeln, das eben über mein Gesicht gehuscht ist, zu konzentrieren.„Es ist nur ein passendes Outfit für die Party heute Abend“, bekomme ich ein weiteres Mal erklärt. Ich habe es heute schon öfter gehört. Und es ist auch nicht das erste Mal, dass ich Mickey Mouse in solchen Outfits sehe. Schließlich bin ich für die besten Fotos auf seinem Instagram-Kanal verantwortlich und er meine Standard +1, wenn ich einmal im Monat auf der Sex- und Fetischparty nurböse berate.
„Und außerdem will ich tanzen, ein paar Leute sehen und werde zum Ende hin mit müdem Gesicht in der Ecke stehen und heim wollen. Und ich habe Dich auch gefragt, ob Du mitkommen willst.“ All das höre ich zum x-ten Mal. All das weiß ich. Eigentlich. Denn ich kann ja nichts dafür, was in meinem Bauch passiert, wenn ich ihn in so einem Outfit sehe und er jetzt das Hotelzimmer für eine lange Partynacht verlässt.
Was passiert da zwischen Kopf und Bauch bei mir? Wieso weiß ich die beruhigenden Dinge und bekomm sie dennoch nicht überein mit meinem Gefühl? Wieso lassen sich Gedanken und Gefühle nicht einfacher in Einklang bringen? So komme ich also nicht umhin mich zu fragen: Wieso ergreift mich die Eifersucht so schnell und unkontrollierbar?
Seit Monaten gehe ich nun regelmäßig am Wochenende mit Jannik trainieren. Er motiviert mich, bringt mich meinem Körperziel näher und ich denke, dass auch Jannik Spaß dabei hat. Sei es nur, um mich während des Trainings zu ärgern. Ich mache ständig Witze darüber, dass man uns bald verwechseln würde. Nicht, dass Jannik das Doppelte von mir wäre (an Muskelmasse versteht sich) und seine Oberarme fast so breit sind wie meine Schenkel. Aber wer weiß, was da noch so kommt bei mir. Jannik ist hetero und ein Freund würde wohl über ihn sagen, er wäre eine 11 von 10. Also drehen sich im Gym nicht nur alle neidischen heterosexuellen Männer nach ihm um, die ebenfalls gerne so aussehen würden, sondern auch fast jedes weibliche* Wesen, das bei uns im Fitness Studio trainiert. Und nicht zuletzt natürlich jeder homosexuelle Mann. Sichtbar genießt er die Aufmerksamkeit, die ihm die Jungs entgegenbringen. Das liegt sicher nicht zuletzt daran, dass er mit fast allen Gays ein wenig flirtet. Und seit einigen Monaten werde ich in diese Spielchen immer mit reingezogen. Bin ich gelegentlich genervt, dass wir bei manchen Übungen unsere Wiederholungen nicht ordentlich durchziehen, wenn er wieder mit Sascha, Daniel oder Ronny liebäugelt. Dann bekomme ich immer direkt zugeworfen, ich soll nicht so eifersüchtig sein. Genauso regelmäßig, wie Jannik mir das an den Kopf wirft, genauso regelmäßig verdrehe ich die Augen, weil es einfach nicht der Wahrheit entspricht.
Allerdings habe ich mich letztens dabei erwischt, dass mich doch so etwas wie Eifersucht ergriffen hat, als Jannik mit dem Insta-Hottie supreme.paul Nummern tauschte und sich zum Training verabredete. Ich versuchte noch zu scherzen, dass ich dann bald abgeschrieben sei, wenn sich nun die Muscle-Kerle zum Trainieren treffen. Später zu Hause stellte ich dann fest, dass das vielleicht doch nicht nur ein Witz von mir war und ich vielleicht doch Angst davor hätte.
Angst. Das ist doch glaube ich bei mir der wichtigste Treiber, wenn es um Eifersucht geht: die Angst, nicht zu genügen. Gut, ich könnte jetzt tief in meiner Kindheit buddeln, weil ich als tuntiges und pummliges Kind in der Eifel immer das Gefühl hatte, nicht zu genügen. Nicht den Ansprüchen eines Bauarbeiterhaushaltes gerecht zu werden. Dass ich weder die Straße ordentlich kehren konnte, noch in der Funkengarde mittanzen durfte, bei der es eigentlich gesetzt war, dass man als junger Erwachsener in der Eifel Teil davon wird. Ich war nie Teil davon. Ich hab nie ausgereicht. Ist es das? Habe ich Angst, dass ich Mickey Mouse nicht ausreiche, wenn ich auf dem Hotelbett liege, mein x-tes Buch lese, mich nicht den Abend durch Techno-Clubs zappele und mein nicht vorhandenes Sixpack präsentiere? Oder aber, dass ich dem starken, heterosexuellen Gym-Kerl als Trainingspartner nicht genüge, weil ich beim Seitheben mit Kurzhanteln nur 9 kg statt 20 kg schaffe?
Eifersucht also in vielen meiner Beziehungen, die ich führe. Und dabei bin ich mit dem Thema regelmäßig auch in meiner Beratung konfrontiert. Ob ich in der Sexsauna stehe und mit verschwitzten Männern über Beziehungen und Ängste spreche oder auf der nurböse, wo ich das Gleiche oft mit heterosexuellen Pärchen erarbeite. Es sind immer die gleichen Fragen, die ich den Menschen vor mir stelle: woher das Gefühl kommt und was dagegen hilft. Ich versuche mir also vor Augen zu führen, dass ich so genüge, wie ich bin. Sixpack oder Muskelkraft hin oder her. So oft sage ich zu meinen Mitmenschen: Wir alle sind wie Julia Roberts: Ein Mädchen, das vor einem Jungen steht und ihn bittet es zu lieben. Am Ende geht’s für mich also darum, dass ich gern gehabt werden will. Wie ich vermute, dass es uns allen darum geht. Und dass manchen von uns eben unsere Erfahrungen und unsere Gedanken ab und zu einen Streich spielen. Und ich bin mir sicher – mal mehr, mal weniger – dass ich gerngehabt werde. Ich atme durch, schnappe mir mein iPhone, stelle laut Musik von den Piano Guys an, lege das Telefon weg und fange mit dem neuen Krimi an. Nur wenige Seiten schaffe ich, bevor ich das Buch zuschlage und auf meinen Schoß lege.
Und dann greife ich doch nochmal zu meinem iPhone. Ich schreibe Jannik, dass ich mich freue, wenn wir nach Ostern wieder Gewichte stemmen und es mir leidtut, dass ich nicht 20 kg beim Seitheben schaffe. Und außerdem schreibe ich Mickey Mouse, dass ich ihn schon vermisse und ihm einen schönen Abend wünsche. Und kurz darauf vibriert mein Handy zweimal. Eine Nachricht von Jannik und eine von Mickey Mouse.
„Ach was, ich geh auch gern mit Dir trainieren, wenn Du nur 9 kg schaffst!“ und „Ich vermiss Dich auch und freu mich auf später, Pupsbär!“ Ich schmunzle schon wieder, atme tief durch und greife entspannt zu meinem Krimi.
Denn am Ende ist es doch so: Eifersucht ist eben nur eine Leidenschaft, die mit Eifer immer sucht, was Leiden schafft.