Mein Rausch, Dein Rausch

Es schimmert, als würde ich in flüssiges Feuer schauen. Dabei sind meine Füße eiskalt. 

Ich habe frei. Eine ganze Woche. Sitze am Rand eines Infinitypools, lasse meine Füße in das kalte Wasser hängen. Um mich herum Berge. Und vor mir sitzt Franzi und trinkt einen Aperol Spritz. Die Abendsonne, die durch ihr Glas und das Getränk in meine Augen fällt, verstärkt das orange noch einmal drastisch.

Franzi nippt genüsslich an ihrem Glas, in der die Eiswürfel langsam kleiner werden. Ich lehne mich zurück, genieße die warme Bergluft und den entspannten Moment. Ich nehme einen großen Schluck meines kalten Landliebe-Kakaos. Für mich als Nichtalkoholiker bedeutet der Kakao Genuss, für Franzi ist es das Glas Aperol Spritz mit frischer Orange und für andere ist es eine Pille, wenn sie zu Techno feiern. Der Gedanke schießt mir in den Kopf, als hätten meine Gedanken eine Arschbombe in meinem Gehirn gemacht und als würde ich mich gerade nicht erst von einer erholen, die ich eben zur Abkühlung in den Pool gemacht habe.

Ich sehe Franzi an. „Weißt du, es ist verrückt, wie wir Menschen unterschiedlich behandeln und verurteilen, nur weil eine Substanz legal ist und die andere nicht.“ 
Ich diskutiere sowas sehr gerne mit Franzi. Sie bringt mir oft noch einmal eine andere Perspektive und mich damit auf neue Sichtweisen. Sie lächelt, schüttelt den Kopf. „Liegt es an den gesellschaftlichen Regeln?“

Ich mein, ist es so einfach? Wir haben das Reinheitsgebot seit Jahrhunderten, zählen Bier zu unserem Kulturerbe und finden Alkoholtrinken daher gar nicht so schlimm. Geht’s aber um andere Substanzen, dann nehmen wir den Urteilshammer raus? Warum feiern wir Alkohol, sehen ihn als harmlos oder sogar elegant, während andere Substanzen sofort mit Gefahr und Ausgrenzung belegt werden? Wo fängt Urteilen an und hört eventuelle Sorge auf?

So komme ich nicht umhin mich zu fragen: Gibt es eine Messlatte zum Verurteilen beim verantwortungsvollen Substanz-Konsum?

Ich bin in der Eifel groß geworden. Gilmore Girls mit der fiktiven Stadt Stars Hollow muss sich mein Dorf als Beispiel genommen haben. So, wie die Einwohner*innen in der Herbst-Binge-Watching-Serie immer einen verrückten Grund finden, um ein Fest zu feiern, so finden die – meist Männer – immer einen Grund zum Party machen und Alkohol trinken. Nicht nur Karneval, auch Kirmes, das Dorffest, der Generationentag, das Feuerwehrfest, das Sportfest, die Oster-Hawaii-Party und nicht zuletzt das Eier-Sammeln. Ja, Eier-Sammeln. Die männliche Dorfjugend zieht nach Einbruch der Dunkelheit durch die Straßen und sammelt vor jedem Haus Eier ein, die von Anwohner*innen dort bereitgelegt worden sind. Und wer das nicht getan hat, bekommt unter grölenden Gesängen einen großen Esel mit Kreide vor die Haustür gemalt. Damit das ganze Dorf am nächsten Morgen natürlich sehen kann, wer keine Eier geben wollte. Vor manchen Häusern liegt auch Geld oder – welch wunder – eine Flasche Schnaps. Und noch selbstverständlicher wird die ganze Nacht durchgetrunken. Zwei bis drei Bollerwagen voller kaltem Bitburger Pils werden die Straßen hoch und runter gezogen und ein Bier nach dem anderen getrunken. Ich bin ein einziges Mal dabei gewesen mit knapp 15. Bis zum Eierbacken am frühen Morgen hab` ich mir diese ganze Sache gegeben und bin danach leicht angeschickert mit gefühlt 3 kg Rührei im Bauch ins Bett und hab mir geschworen: „das machst Du nie wieder.“ Habe ich auch nicht. Irgendwann kurz danach habe ich auch komplett aufgehört zu trinken. Mit unter 16. Aber das ist eine andere Story.

Aber nicht nur beim Eierbacken wird getrunken. Auf jeder Party, die in unserem Bürgerhaus während meiner Jugend stattfand, gab es einen Notarzt-Einsatz, weil Jugendliche mit Alkoholvergiftung behandelt und / oder sogar ins Krankenhaus gebracht werden mussten. Außerdem kommt auch jedes zweite Mal die Polizei, weil es eine sehr aggressive Prügelei von zwei sturzbetrunkenen Männern gibt.

Und auf den Partys, auf denen ich nun unterwegs bin? Da wäre zum Beispiel die NurBöse, eine sexpositive Fetisch-Techno-Party, bei der ganz andere Substanzen konsumiert werden anstatt Bitburger Pils in Massen. Ich komme wegen meiner Arbeit dort mit sehr vielen unterschiedlichen Menschen in einer Nacht ins Gespräch. Regelmäßig, nachdem ich gefragt habe, ob ich kurz stören darf, bekomm ich die Gläser Wasser ins Gesicht gehalten mit der Aussage „Ich trink nur Wasser.“ Immer schmunzle ich dann und sage: „Schön, kein Mischkonsum. Freu mich, aber deshalb habe ich dich nicht angesprochen.“

Auf der Party haben die Menschen unterschiedliche Substanzen konsumiert. Medien sagen dazu auch sehr gern „Partydrogen“. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Leute, mit denen ich dort rede, einen sehr verantwortungsvollen Umgang mit den von ihnen eingenommen Substanzen an den Tag bzw. in der Nacht legen. Sie trinken meist Wasser, um keine unterschiedlichen Substanzen mit unterschiedlichen Wirkungen zu nehmen. Und klar gibt es da auch Ausrutscher mit falschem Konsum und Notarzt-Einsätze. So, wie es die eben in der Eifel auch bei jeder Party gab und sicher noch gibt. Allerdings ist dort niemand aggressiv, niemand prügelt sich. 

Laut der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen trinken etwa 74% der Erwachsenen in Deutschland regelmäßig Alkohol – von Familienfeiern bis zu entspannten Abenden mit Freund*innen. Demgegenüber zeigt eine Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, dass rund 6 % der jungen Erwachsenen zwischen 18 und 25 Jahren mindestens einmal im Jahr Partysubstanzen wie MDMA oder Amphetamine konsumieren. Trotz dieser vergleichsweisen niedrigen Zahl werden diese Substanzen oft tabuisiert und ihre Nutzer*innen schnell verurteilt.

Ich denke an Freund*innen, die sich auf solchen Partys fallenlassen, Momente der Freiheit und Selbstakzeptanz erleben – ermöglicht durch diese Substanzen. Und dann diese andere Seite: das Stigma, die Angst, die schnellen Urteile.
Und dann denke ich auch an meine Jugend. Das Saufen der Jugendlichen. Das nette Rüberreichen des frisch gezapften Pils‘ an die Minderjährigen über die Theke hinweg. 

Ich konsumiere keinerlei Substanzen. Keine Feier-, Party, oder Sexsubstanzen. Vielleicht mach ich mir bei Freund*innen daher auch hier und da zu viele Sorgen, wenn es um deren Konsum geht. Aber dann mache ich keinen Unterschied zwischen Alkohol oder anderen Substanzen. Alles, was nicht im gesunden Maß konsumiert wird, lässt mich bangen. Und das spreche ich dann auch immer an. Denn das ist ja auch fein, wenn es um geliebte Menschen geht. Allerdings ist das kein Verurteilen oder das Urteilen über fremde Menschen. Ich möchte keinen ungesunden Konsum verherrlichen. Substanzen können Leben zerstören. Ich möchte schlicht darauf aufmerksam machen, dass dieses unterschiedliche Bewerten für mich immer schwierig ist. Die Folgen für die Gesellschaft sind für Alkohol übrigens genauso verheerend wie die von anderem Drogenkonsum. Fragt man ChatGPT nach den zehn gefährlichsten Drogen landet Alkohol sogar auf Platz 1. Wegen der Akzeptanz und der Folgen – für die Menschen und die Gesellschaft.

Die Sonne versinkt langsam, taucht alles in warmes Orange, auch über den Aperol Spritz hinweg. Die nächsten Tage werde ich mit Franzi wandern und zum Mittagessen auf der Alm Leute mit einem Bier am Tisch sehen. Auch, wenn wir im Dorf ins neue hippe Restaurant gehen, werden Menschen um uns herum Alkohol trinken und ich werde Franzi für entspannte Abendstunden am Infinitypool einen Drink mixen. Vielleicht sollten wir das Urteilen über Substanzen und den Menschen, die sie nehmen, neu denken. Ich würde mir mehr Verständnis, größeres Informationsinteresse und weniger Vorurteile wünschen.

Denn am Ende ist es doch so: Wir sind alle Menschen, die versuchen, das Leben zu genießen – ob mit einem Aperol Spritz in der Hand, kaltem Landliebe-Kakao auf der Zunge oder mit einer Pille auf einer Party. Und die einzige Substanz, die dabei wirklich zählt, ist der Respekt zum Gegenüber.

andreas

1 Kommentar

  • es liest sich wunderbar, lässt einen auch ein bisschen über den eigenen Konsum nachdenken, da gehört schließlich auch schon Kaffee dazu oder halt Energy oder auch anderes. Erst wenn das nicht mehr verantwortungsbewusst ist kann aus dem Genuss aus Konsum halt Sucht werden. Da gilt ja oft auch, dass die Dosis das Gift macht. Und aktuell bin ich lieber mit jemandem feiern, der bewusst die Chemie nutzt und dabei gute Laune hat, als jemand der sich unkontrolliert Alkohol zuführt und dann in Aggressionen verfällt.

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