Party, Party und ein Kampf

Na, wieder mal unterwegs für Eure Rechte kämpfen? 😉 “
Ich schaue auf mein iPhone und auf die sarkastische WhatsApp, die mir Fred gerade geschickt hat. Er hat auf das Foto reagiert, das ich – neben Insta – auch in meinen WhatsApp-Status gehauen hatte. Es zeigt meine Nike Pride Sneaks, meine sehr weißen Beine, die Dank der kurzen Hose heute hoffentlich ein wenig Sonne abbekommen werden, eine goldene Dose Energy-Drink, im Hintergrund singt Janet Jackson Together Again und unschwer zu erkennen: das unverkennbare Muster der Sitze des Regionalexpress, in dem ich mit Marcel sitze. Dem Eifelexpress RE 24. Ziel: Die erste Pride-Demo in Euskirchen. Liebevoll von uns auch „Der Christopher in Üsskirche“ genannt.

Vor Wochen war es das Thema meiner Mama und meiner beiden Freundinnen Kläre und Marita. Alle Damen über 60. Alle Damen kennen mich seit ich wirklich sehr, sehr jung war – meine Mutter sogar noch länger. Ich bekam Berichte aus dem Wochenspiegel und der Kölnischen Rundschau geschickt, die sich alle mit der Ankündigung der Pride in Euskirchen beschäftigten.

Am 17. Mai, dem Internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Inter-, und Trans*-Feindlichkeit (IDAHOBIT) hatten sich nicht nur zahlreiche aktuell in der Bundesliga spielenden Fußballer ein Gruppen-Coming-Out vorgenommen, sondern auch ein regionaler Verband die erste Pride-Veranstaltung in Euskirchen. Eine Kreisstadt mit rund 60.000 Einwohner*innen. Mir war direkt klar, dass ich alles dafür geben musste, neben meiner Mama, Kläre und Marita am Straßenrand mit wehenden Fahnen zu stehen. Schließlich handelt es sich um meine Geburtsstadt. 

Die Stadt, in die ich mit 14 gemeinsam mit meinen Freund*innen mit dem JuniorTicket zum „Großstadt“-erleben fahren dürfte. Die Stadt, die für mich eine Zeit lang der Nabel der Welt war. Die Stadt, in der ich meine Berufsausbildung und damit auch eine Art Karriere gestartet habe. Die Stadt, in der ich das erste Mal den ganzen Tag Bauchkribbeln wegen eines Typen hatte. Die Stadt, in der ich heimlich hinter Warenträgern auf SMS-Nachrichten von Daniel aus Mannheim geantwortet habe. Die Stadt, in der ich später im Lager des Warenhauses auf das Geständnis einer Kollegin, dass sie eine Affäre mit einem verheirateten Mann hat, geantwortet habe: „Macht nichts, ich bin schwul!“

Und dann waren die Worte raus. Und damit auch mein Outing bei meinen Kolleg*innen.

Und nun, über ein Jahrzehnt später, bin ich auf dem Weg in die Stadt und möchte für die Sichtbarkeit der LGBTQIA*+ Community kämpfen. Ist es das? Ein Kampf? Oder besuche ich nur eine familienfreundliche Öffentlichkeitsveranstaltung? Funktioniert es, mit einer Party für politische Forderungen und Normalität einzustehen? 

So komme ich nicht umhin mich zu fragen: Ist es überhaupt möglich, in kurzer Hose, Pride-Nike-Sneaks und lauter Janet Jacken Musik für Gleichberechtigung zu kämpfen? 

Immer wieder wird den Prides dieser Welt nachgesagt, dass sie nur zum Feiern da sind. Das nichts Politisches dahintersteckt. Auch Freds WhatsApp kann ich ganz genau so verstehen. Vor 65 Jahren gab es aufgrund von Polizeigewalt und Verfolgung von queeren Menschen in New York in der Christopher Street im Stonewall Inn einen Aufstand, auf den die alljährlichen Prides zurückzuführen sind. Und jetzt tanzen wir? Haben an den Wochenenden Sex mit unbekannten Personen? Sind ungezwungen? Konsumieren Substanzen? Ziehen durch die Innenstädte von mal mehr, mal weniger großen Städten? Ja. Das tun viele von uns. 

Ich bin dieses Jahr in Euskirchen, Düsseldorf, Zürich, London, Berlin und Köln. Und ich weiß jetzt schon, dass ich mit Flavio, David, Lina, Mers, der Mickey Mouse, Franzi, Nico und all den anderen lieben Menschen in meinem Leben eine Menge Spaß haben werde. Wir werden brunchen, wir werden demonstrieren, wir werden lachen, wir werden kämpfen und wir werden eben auch tanzen. Und ich werde mich – das weiß ich nun schon aus jahrelangen Pride-Erfahrungen – das ein oder andere Mal einfach ganz normal fühlen. 

Normal, ein Wort, das ich sonst so gar nicht mag. Aber genau zu den Zeiten, wenn queere Menschen zusammenkommen, um für die Anerkennung ihrer Liebe zu kämpfen, bin ich endlich mal in der Überzahl. Egal, wo ich hinschaue, sehe ich dann Menschen, die wie ich, das gleiche Geschlecht lieben. Die Heterosexualität, die ich sonst das ganze Jahr über im Kino, auf Werbeplakaten, in der U-Bahn händchenhaltend oder in jedem Bürogespräch erzählt bekomme, ist zu dieser Zeit eben einfach mal nicht die Norm. Dann sehen die Menschen da draußen, dass es mehr gibt, als das, was wir von der Gesellschaft als Normal beigebracht bekommen. Und dann geht es nicht darum, dass wir laut, aufdringlich und nervend allen unseren Mitmenschen unsere Sexualität aufdrängen wollen. Wir sind es vielleicht einfach nur gewohnt, dass wir die Sexualität der anderen immer und überall mitbekommen, sodass wir das Bedürfnis haben, es bewusst anzusprechen. Als ich meiner Mama letzte Woche erzählt habe, dass ich in Köln am Rudolfplatz noch regelmäßig als Schwuchtel beschimpft werde, hat sie große Augen gemacht und konnte nicht glauben, dass ich das ernst gemeint habe. Und wie ernst ich das gemeint habe.

Ist es daher auch nicht besonders wichtig, dass wir uns beim ersten Pride in Euskirchen blicken lassen? Eine Stadt in der eine kleine Gruppe von queeren Aktivist*innen etwas auf die Beine gestellt hat. Eine Demo, ein Bühnenprogramm, eine bunte und breite Sichtbarkeit. Zu den Prides dieser Welt in allen bekannten Städten kommen gern Millionen von Besucher*innen. Sichtbarkeit ist meiner Meinung nach aber eben auch ganz besonders in diesen kleinen Städten von Bedeutung. Dort, wo viele Menschen eben nicht immer wieder mit unserer Community in Kontakt kommen. Dort, wo viele Menschen „diese Schwulen, Lesben und diese anderen“ nur aus dem Fernsehen kennen. „Und die sind ja meist immer so überzeichnet.“

Ja, manche von uns sind schrill. Manche von uns sind bunt. Manche sind aber auch leise. Oder unauffällig. Manche passen mal mehr, manche mal weniger in die von der Gesellschaft vorgeschriebenen Schubladen. Umso wichtiger ist also, dass wir auf uns aufmerksam machen. Mit politischen Forderungen. Mit Bühnen, auf denen diskutiert wird. Mit einer Demo, die durch die Straßen der Innenstädte führt. Aber eben auch mit Tanzen. Und das möchte ich nun mit meiner Mama. Mit Marcel. Marita und Kläre. In der Stadt, in der ich geboren wurde. In der Stadt, in der ich mich sehr, sehr lange nicht normal gefühlt habe. 

Ich schnappe mir also eben nochmal mein iPhone und tippe eine Antwort an Fred: „Ja genau. Ich kämpfe. Denn das ist richtig und wichtig.“ Und außerdem packe ich noch ein Pride-Flag-, ein Bizeps- und ein Tanz-Emoji dahinter.

Denn am Ende ist es doch so: Wenn schon für eine Selbstverständlichkeit kämpfen, dann bitte auch mit einem Hüftschwung und einem richtigen Soundtrack fürs Leben.

andreas

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