“Und die sind nackt.”
Ich schmunzle. „Ja. Nackt.“
„So ganz ohne Accessoires?“
„Na, wenn man es ganz genau nimmt nicht. Sie dürfen Socken und Schuhe anlassen.“ Sollten sie auch, denke ich. Schließlich ist die Devise: Safety first.
„Und dann haben sie einen Sack über den Kopf und sehen nicht, mit wem sie Sex haben, richtig?“
„Genau. Das ist der Sinn und Zweck dieser Party.“
„Ah“, sagt Marie und schiebt sich eine große Portion Spaghetti mit Trüffelsoße in den Mund.
Jetzt entwickelt sich mein Schmunzeln zu einem Lächeln. Es ist ein goldener Herbst. Meine liebste Jahreszeit – neben Pride-Season, Karneval, Winterurlauben und der Vorweihnachtszeit. Und daher genieße ich mit dem Geburtstagskind Marie diese traumhafte Indian Summer Night in der Südstadt. Die Sonne steht tief, wirft orange-rotes Licht auf die breiten Straßen, erweckt noch eine angenehme Wärme auf der Haut, ohne zu aufdringlich zu sein. Und es riecht nach Herbst. Nun ja, aktuell riecht alles nach der Trüffelsoße der Pasta meiner Dinner-Begleitung. Aber grundsätzlich würde es nach Herbst riechen, wenn der Duft auch nur eine geringe Chance gegen den Pilz in der Sahnesoße hätte.
Marie schluckt ihren Bissen Trüffelpasta runter und schaut mich an. „Wieso schmunzelst Du so?“
„Weil ich Dir von der – für Heteros – wohl krassesten Sexparty erzähle und Du nur mit einem Ah reagierst.“
Eigentlich müsste ich wissen, dass es ganz sicher für Marie als Beziehungs-und Sexualtberaterin kein Ding ist, wenn ich von meinen Party-Erlebnissen erzähle, bei denen ich queere Vor-Ort-Beratung mache.
„Eigentlich müsstest Du wissen, dass es kein Ding für mich ist.“
Natürlich spricht sie aus, was ich denke. Dafür liebe ich sie so sehr.
Ich erzähle ihr von vorgestern und der Party, die, weil die Cruising-Bar, in der die Party sonst immer stattfand, seit der Pandemie auf der Suche nach einer neuen Location ist, in einem Club auf den Kölner Ringen stattfand, in dem sonst nur heterosexuelles, feierwütiges Publikum zu Housebeats abzappelt. Und in dem nun 150 nackte Männer mit einem Sack über den Köpfen darauf warteten, dass andere 100 Männer ohne Sack über den Köpfen kommen und anonymen Spaß mit ihnen haben würden. Und weil der Club erstmalig mit so einer Art Party konfrontiert war, war das Personal wohl auch möglicherweise ein wenig überfordert. Worüber ich mich bei Marie vorhin aber dermaßen geärgert habe, als ich ihr davon erzählte, war der Türsteher. Kurz bevor es los ging und die „sehenden“ Männer den Club betreten sollten, schaute der Türsteher des Abends durch die ganze Runde Nackter mit Säcken über dem Kopf. Dann drehte er sich zu seinem Kollegen an der Garderobe rüber und fuchtelte wie wild mit seiner Hand vorm Gesicht rum.
Das international bekannte Zeichen für: Die haben sie doch nicht mehr alle.
Als er seinem Kollegen dann noch zuwarf, dass die meisten Männer in zwei Stunden dann wieder bei Ihrer Gattin auf dem Sofa sitzen würden, als wäre nichts gewesen und das sei alles so ekelhaft, musste ich ihm allerdings in einer einzigen Sache zustimmen. Denn das mit den Gattinnen war auch meine These. Ich ging sogar so weit, dass ich behaupten würde, die meisten davon würden sich dann mit der Gattin im ZDF noch gemeinsam das Traumschiff anschauen. Diese besondere Sexparty war – ohne dass ich dafür auch nur einen einzigen validen wissenschaftlichen Beweis hatte – wohl die mit den meisten Männern, die Sex mit Männern haben und sich selbst als heterosexuell bezeichnen. Aber trotz der wohl wahren Aussage des Türstehers konnte ich seine Reaktion und die Abwertung nicht vergessen und wurde sogar richtig wütend.
Gut, man könnte meinen, er hat im Leben noch nie sowas gesehen. Und wenn? Wieso muss er so herablassend über die Menschen, die dort waren um Spaß zu haben, urteilen? Was geht in den Menschen vor, dass sie über das sexuelle Verhalten von Menschen, wie auch immer es ausgelebt wird und dabei niemand unwillentlich verletzt wird, urteilen? Und dann auch noch umgehend auf die Beziehungsstrukturen der Menschen abwerten zu müssen?
So komme ich nicht umhin mich zu Fragen: wann wurde aus dem Kehr-vor-Deiner-eigenen-Haustür ein Ich-weiß-es-halt-besser-und-kehr-Dir-meine-Meinung-vor-deine-Haustür?
Aber das allein ist es nicht. Auf der nurböse, einer Fetish-Techno-Sexpositiven-Party, sind überwiegend heterosexuelle Personen unterwegs. Oft Pärchen. Oder zumindest Personen, die dort zusammen hingehen. Es gibt selbst vom Konzept der Party her eine extra eingerichtete Paar-Area, wo Menschen nur im Doppelpack rein dürfen. Auf der nurböse bin ich ebenfalls regelmäßig für die Vor-Ort-Beratung unterwegs. Und wenn ich dann in der Chill-Out-Area meine Runden drehe und versuche, nett mit den Menschen ins Gespräch zu kommen, habe ich oft den Eindruck, dass sie sich selbst rechtfertigen. Ich stelle mich kurz vor, frage, ob sie zusammen da sind und ob ich ihnen Fragen beantworten, auf STI-Testungen aufmerksam machen darf oder ob das Konzept der Party klar ist. Eine häufige Reaktion ist oft „Klar gern. Wir machen hier aber nichts. Wir wollen nur schauen.“ Mir ist das egal. Vollkommen egal.
Erzählt mir, dass ihr es hier mit drei anderen Pärchen treiben wollt und ich wünsche euch genauso viel Spaß wie jeder anderen Person auf dieser Party auch. Ich weiß doch rein gar nichts über die Einzelnen oder euch, die Pärchen, die auf der Party gemeinsam dort unterwegs sind. Nichts über eure Beziehung. Nichts über eure Regeln. Nicht von euren Wünschen und euren Sehnsüchten.
„Glaubst Du, dass ihr Schwulen offener auf solchen Partys seid?“
Marie reißt mich aus den Gedanken und ich bin in Nullkommanichts wieder in der Südstadt, in der Abendsonne und habe Herbst- und Trüffelgeruch in der Nase.
„Hm. Möglich. Wir sind sexuell anders sozialisiert. Unsere Sexualität war jahrhundertelang verboten und sogar strafbar. Aber ich erlebe ja auch auf sexpositiven Partys mit heterosexuellem Publikum eine offenere Herangehensweise. Vielleicht noch nicht so intensiv, dass sich alle direkt einen Sack über den Kopf ziehen würden.“ Ich lache und spieße mir meine Kürbis-Pasta auf die Gabel. Dann ziehe ich sie noch durch die Salbeisoße, vorbei an weichen Fetawürfeln und stecke sie mir genüsslich in den Mund.
Wieso versuchen sich Menschen nicht einfach an den schönen Dingen des Lebens zu erfreuen. Die Zeit, die sie mit einer ihrer besten Freundinnen in der Herbstsonne genießen können, zum Beispiel. Durch Laubberge laufen, auf dem Sofa ein Buch lesen oder die ganze Nacht zur harten Technomusik raven.
Wenn Karl-Heinz nach einer kurzen, aber wilden Sexparty zu Gisela aufs Sofa geht, Händchen hält und zuschauen will, wie Florian Silbereisen, während er Probleme lösen muss, auf einem großen Schiff durch den Indischen Ozean fährt, dann soll er das doch bitte machen. Wir sollten uns vielleicht alle ein bisschen mehr in Akzeptanz üben und die Menschen ihre Sexualität ausleben und Beziehungen führen lassen, wie sie sich selbst am besten damit fühlen.
Denn am Ende ist es doch so: Liebes-, Sex- oder Freundschaft-Plus-Beziehung, die schwierigste Beziehung ist doch so oder so die zu uns selbst.
2 comments
Sven
Lebendig und fesselnd geschrieben. Man kann sich richtig in die Situation reinversetzen. Ich denke, viele Menschen haben Schwierigkeiten damit, sich selbst zu akzeptieren und fühlen sich häufig zu einer Rechtfertigung genötigt. Dabei ist diese überhaupt nicht notwendig.
Patrick
Mega Text 🤩 Total stark, wie alle Sinne beim Lesen sofort dabei sind.